Ernährung & Psyche oder das zweite Gehirn

Jetzt sind doch schon wieder mehr als zwei Wochen mit Panchakarma vergangen. Die Einleitungs­phase mit mediziniertem Ghee und die erste Aus­leitungs­phase über die Darm­entleerung (Virechana) habe ich seit einiger Zeit hinter mir. Auch bekomme ich die darm­reinigenden Bastis wieder verabreicht. Gepaart mit der gesunden ayur­vedischen Ernährung macht sich der Effekt der Pancha­karma-Therapie erneut in meiner Psyche bemerkbar. Ich bin ausgeglichen und entspannt, wie seit langer Zeit nicht mehr.

Dass sich die Qualität der Nahrung auf die Psyche auswirkt ist im Ayurveda altbekannt. Dabei sollten im Ayurveda sogenannte sattvige Lebens­mittel 60-80% der täglich ein­ge­nommenen Nahrung aus­machen. Hier im Kranken­haus sind es 100%. Neben dem deutlich verringerten Insulin­bedarf und einem stabilen Blut­zucker­verlauf spielt die Ernährung mit die Haupt­ursache für mein hiesiges Wohlbefinden. Offenbar geht es meinem Darm hier richtig gut.

Mein sprich­wörtliches positives Bauch­gefühl passt zu den jahr­tausend­alten Lehren des Ayurveda, welche von neueren Forschungs­er­kennt­nissen gestützt werden. So zeigte sich, dass der Darm eine komplexe Chemie­fabrik darstellt, welche eine nicht unbeacht­liche Anzahl von Neuro­transmittern produziert. Diese Typen von Boten­stoffen werden auch im Gehirn gebildet und können dort für ein Wohl­gefühl sorgen. Doch dies ist nicht alles. Darüber hinaus umgeben die Wände von Dünn- und Dickdarm ein Geflecht von geschätzt 100-200 Millionen Nervenfasern.

Dieses komplexe Netzwerk wird inzwischen von manchen Forschern als ein zweites Gehirn betrachtet. Dabei findet zwischen „Kopf­hirn“ und „Darm­hirn“ ein reger Informations­austausch statt. 90% der Signale werden über den Vagus­nerv vom Darm an das Denk­organ übertragen. Dort werden sie auch in Regionen verarbeitet, welche Gefühle verarbeiten. Umgekehrt sendet das Gehirn zehn Prozent der Signale an den Darm. Bei Stress oder seelischer Belastung regelt der Darm die Verdauungs­tätigkeit herunter. Das genaue Gegenteil kann auch der Fall sein. Die Darm­aktivität ist ansonsten eine rein autonome Angelegen­heit.

Es zeigte sich, dass das Kopfhirn nicht nur vom Darmhirn beein­flusst wird, sondern auch sehr vom intestinalen Mikro­biom abhängig ist. Das Mikro­biom, welches früher, als Bakterien noch zu den Pflanzen zählten, als Darmflora bezeichnet wurde, ist gegen­wärtig eines der faszinierendsten Themen in der Ernährungs­medizin. Dabei stehen den geschätzt rund 40 Billionen Bakterien im Darm rund 30 Billionen Zellen im gesamten mensch­lichen Organismus gegenüber.

Die vorrangig im Dickdarm lebenden Mikro­organismen zeigen eine unglaubliche Vielfalt und An­pas­sungs­fähig­keit. Bis zu 1000 verschiedene Arten können im Mikrobiom ihres Wirts leben. Aber gerade diese Zahl wird in modernen Industrie­gesellschaften nur selten erreicht. Inzwischen weiß man, dass der Arten­reichtum eines Mikrobioms im direkten Zusammen­hang mit den positiven Effekten auf Körper und Geist steht. Ebenso fest steht, dass in modernen Industrie­gesellschaften die Vielfalt der Bakterien­arten im Mikro­biom stark zurückgeht und dies womöglich die Ursache für das häufige Auftreten von Zivilisations­krank­heiten wie Typ-2-Diabetes ist.

In Studien konnte außerdem demonstriert werden, dass sich die Zusammen­setzung des darm­eigenen Mikro­bioms von Patienten mit Depression, Schizo­phrenie oder Autismus gegen­über dem von gesunden Menschen unter­scheidet. Auch bestimmt mit zunehmender Sicherheit die Zusammen­setzung des Mikro­bioms das Verhalten und die Emotionen seines Wirts. In einer Studie mit Ratten konnte gezeigt werden, dass sich das Verhalten einer Zuchtlinie mit zaghaften Tieren nach einer Trans­plantation von Darm­bakterien aus einer wage­mutigen Zucht­linie änderte. Die vormals zurückhaltenden Ratten wurden abenteuer­lustiger. Inwieweit die Ergebnisse auf den Menschen zu übertragen sind, muss noch weiter geklärt werden.

Für mich ist jedoch der interessanteste Punkt in der gegenwärtigen Mikro­biom­forschung die so­ge­nannte Ab­fall­produktion. Als Stoff­wechsel­endprodukt bilden einige Bakterien­arten Neuro­transmitter wie Serotonin, dessen Gleich­gewicht bei Depression maßgeblich gestört ist. Ebenso setzen manche Bakterien­arten GABA (Gamma Amino­butter­säure) frei, welches Angst­gefühle lindert. Manche Mikroben­arten scheiden bestimmte kurz­kettige Fettsäuren aus, die wie Anti­depressiva wirken und wiederum andere Bakterien­spezies bilden Dopamin, welches bei Parkinson eine Rolle spielt.

Alles in allem bilden die verschiedensten Mikro­organismen ein hoch­komplexes Gleich­gewicht. Die frei­ge­setzten Abfall­produkte einzelner Bakterien­arten werden wiederum von anderen Mikroben ver­stoff­wechselt und bilden so  ein einzigartiges individuelles Öko­system in ihrem Wirt. Ein Über­angebot bestimmter Nährstoffe, bei­spiels­weise aus industriell verarbeiteten Lebensmitteln, lässt bestimmte Bakterien­arten über­mäßig wachsen, die dem Wirt eher schäd­liche Stoff­wechsel­produkte bereit­stellen. Anderer­seits sind die für das Wohl­gefühl notwendigen Bakterien­arten im Nach­teil, da die benötigte ballast­stoff­reiche Nahrung nicht zur Verfügung steht.

Noch spannender wird die Sache, wenn bestimmte, auf Industrie­nahrung spezialisierte Bakterien fest­stellen, dass ihr Nähr­stoff­angebot weniger wird, weil ihr Wirt bewusst ver­zichtet. Dann signalisieren sie Hunger­gefühle, obwohl in Wirk­lich­keit kein Nähr­stoff­mangel besteht und manipulieren mit ihren Stoff­wechsel­produkten den Wirt. Der Jojo-Effekt geht wahr­scheinlich darauf zurück. Ebenso ver­ändert sich die Zu­sam­men­setzung des Mikro­bioms mit jeder Mahlzeit. Das führt dazu, dass die dauer­hafte Zufuhr von Industrie­nahrung das Mikro­biom dauer­haft un­günstig verändert, was erneut Aus­wirkungen auf die Psyche hat.

Jedenfalls ist noch sehr viel Forschung auf diesem Gebiet notwendig. Über die Wechsel­wirkung des Mikro­bioms mit dem Immun­system bin ich in diesem Beitrag gar nicht gekommen. Vielleicht ein anderes Mal. Mich würde es jedenfalls nicht wundern, wenn in einigen Jahren bestimmte Krank­heiten über das Mikrobiom geheilt werden können. Im Ayurveda ist das mit Erfolg heute schon der Fall.

Vielen Dank für Eure Kaffeespenden!!!

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