Diabetes ist Stress pur. Es gibt davon keine Pause. Weder gestern, noch heute, noch morgen. In der Wahrnehmung anderer äußerst sich dieser permanente Stress kaum. Im Tagesverlauf den Blutzucker im engen Normbereich zu halten ist eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe, die ohne Unterbrechung die volle Aufmerksamkeit fordert. Ein Gelingen ist dennoch nicht garantiert. Ein eigener kleiner Fehler und die Planung des gesamten Tages kann obsolet sein. Sei es nur die richtige Abschätzung der Energiemenge der zugenommenen Nahrung. Nicht selten verbirgt sich eine unerwartete Überraschung in manchem Lebensmittel.
Aber nicht nur die ständige Kalkulation der Nahrungsenergie, sondern auch die Abschätzung der zu erwarteten Tagesaktivitäten spielen eine große Rolle. Geplanter Sport lässt sich glücklicherweise mit einer Basalratenabsenkung an der Insulinpumpe managen. Dennoch ist bereits mit einigem Abstand vor der geplanten sportlichen Aktivität die Basalrate entsprechend anzupassen. Intensiver ungeplanter Sport führt fast immer zu Unterzuckerungen (Hypoglykämien). Diese können unter Umständen lebensbedrohlich sein. Wer keine Pumpe hat, muss entsprechend umdenken.
Lebensnotwendig für Typ-1-Diabetiker ist hierbei die äußerst genaue Aufnahme von Insulin. Es dient als zellulärer Schlüssel, um die Energie aus der Nahrung in die Körperzellen zu schleusen. Dabei wird das verabreichte Insulin nicht sofort freigesetzt. In Abhängigkeit von der aktuellen körperlichen Verfassung dauert es selbst mit schnellwirkenden Insulinanaloga etwa 15-30min bis die Wirkung einsetzt. Bei nahezu jeder Nahrungszufuhr ist aus diesem Grund ein Spritz-Ess-Abstand zu beachten. Nach etwa zwei bis vier Stunden entfaltet das gespritzte Insulin seine volle Wirkung. Entsprechende Kalkulationen des zu erwartenden Tagesverlaufs müssen immer mit einberechnet werden.
Ein Vernachlässigen der äußeren und inneren Gegebenheit führt zu unerbittlichen Folgen: kurzfristig und langfristig. Kurzfristig kann sich dies in Hypoglykämien äußern. Bewusstlosigkeit und Tod kann die Folge sein. Ebenso kann ein zu hoher Blutzucker zu Hyperglykämien führen. Eine daraus entstehende Ketoazidose kann ebenfalls zum Tod führen. Langfristig sind Spätfolgen des Diabetes selbst bei gutem Blutzuckermanagement fast unabdingbar. Dazu gehören u.a. diabetische Retinopathie, diabetische Nephropathie, diabetische Polyneuropathie und die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK).
Im besonderen Maße wirkt sich äußerer Stress auf das Blutzuckermanagement aus. Durch das dabei ausgeschüttete Cortisol wird die Wirkung von Insulin herabgesetzt. Damit wird bei erhöhtem Stresspegel die Blutzuckerführung unkalkulierbar. Außerdem ist unter Stress der Insulinbedarf deutlich höher. Manchmal reicht schon ein beunruhigender Anruf oder ein Streitgespräch, um den Cortisolspiegel und damit den Blutzucker augenblicklich ansteigen zu lassen zu lassen. Das ursprüngliche Blutzuckermanagement funktioniert nicht mehr.
Eine mittelschwere Hypoglykämie pro Woche und eine schwere Hypoglykämie pro Monat mit einer Beeinträchtigung des Bewusstseins sind die Regel. Eine schwere Unterzuckerung bringt eine extreme Stoffwechselbelastung mit sich. Dies bedeutet immensen Stress auf zellulärer aber auch auf psychologischer Ebene. Auch wenn eine schwere Hypoglykämie abgeklungen ist, bleibt die Stressbelastung und die damit verbundene Erschöpfung über Stunden erhalten. Sichtbar ist dies nach außen nicht.
Dauerhaft führt dieses ständige Abschätzen der Umwelt und Berechnen von Faktoren zu weiterem Stress. Bei einigen Diabetikern entwickelt sich daraus ein Kontrollzwang. Die psychologische Dimension ist bei dieser chronischen Krankheit völlig unterschätzt. So erkranken im Erwachsenenalter Diabetiker drei- bis viermal höher an einer Depression als Nichtbetroffene. Ein Teufelskreislauf.
Bei dieser dramatischen Ausgangslage bleibt natürlich ein Gefühl vorherrschend: Angst. Jedenfalls erging es mir so. Bis Anfang 2018 war ich mir nicht sicher, ob ich aufgrund der pAVK so weiterleben kann. Heute weiß ich, dass das Paradigma des dauerhaften Fortschreitens von diabetischen Spätfolgen so nicht mehr gilt.
Im Ayurveda existieren mehrere effiziente medizinische Verfahren, diabetische Folgeerkrankungen auszubremsen, aufzuhalten oder sogar umzukehren. Diabetische Polyneuropathie und diabetische Nephropathie lassen sich erfolgreich ayurvedisch behandeln. Hier im P.D. Patel Ayurveda Hospital hängen mehrere Poster zu entsprechenden Publikationen. Einen Link hänge ich unten an.
Ob die pAVK, die in den letzten Jahren mein Leben so bestimmt hat, geheilt ist, weiß ich nicht genau. Sie ist zumindest aufgehalten. Allerdings weiß ich, dass die pAVK eine Folge einer zu großen Stressbelastung durch Diabetes und Alltag war. Für mich ist auf jeden Fall Stress ein sehr großes Thema. Aus dieser Besorgnis habe ich In den letzten Jahren verschiedene Entspannungsverfahren für mich gefunden.
Interessanterweise sind es die Techniken, welche im Ayurveda empfohlen werden, um übermäßiges Vata zu reduzieren. Ebenso interessant ist die Tatsache, dass meine Beschwerden von Professor Gupta als ein charakteristisches Ungleichgewicht des physiologische Regulationsprinzips Vata angesehen werden. Bedingt durch meinen Typ-1-Diabetes wird sehr wahrscheinlich dieses Ungleichgewicht auch in Zukunft immer wieder von neuen getriggert werden.
Aus ayurvedischer Sicht ist eine regelmäßig geplante Entspannung, sei es durch Meditation, Yoga oder auch Waldspaziergänge essentiell, um Vata im Gleichgewicht zu halten. Diese Psychohygiene ist genauso wichtig für eine langfristige Prävention wie ein gutes Blutzuckermanagement und eine gesunde Ernährung mit definierten Essenspausen. Vor allen Dingen aber strikte Regelmäßigkeit im Tagesablauf kann nach ayurvedischer Sicht Vata beruhigen. Für einen naturwissenschaftlich geprägten Europäer mag dies auf den ersten Blick sehr merkwürdig klingen. Aber gerade bei chronischen Krankheiten ist Ayurveda der Schulmedizin in vielen Bereichen anscheinend überlegen.
Mein Blutzuckerverlauf ist jedenfalls wieder bilderbuchreif. Diese Stabilität hat immense Auswirkungen auf meinen Stoffwechsel. Von den ursprünglich 80 Insulineinheiten pro Tag vom letzten Jahr bin ich durch die Behandlungen auf jetzt 45 Einheiten gesunken. In Leipzig hatte ich zwischendurch 55 Einheiten. Vielleicht schaffe ich es ja diesmal auf unter 40 Insulineinheiten pro Tag zu kommen.
Link zu Publikationen: diabetische Nephropathie, diabetische Polyneuropathie
4 Kommentare zu „Diabetes und Ayurveda“
Ich sehe hier einen Ratgeber für alternative Therapieansätze bei T1D entstehen.
Super und weiterhin viel Erfolg in Phase 2 der indischen Mission.
Danke Jörg,
Viele Grüße aus Nadiad.
Peter