Eure Nahrungsmittel sollten Heilmittel – und eure Heilmittel sollten Nahrungsmittel sein.
Hippokrates, 300 v. Chr.
Die vergangenen Tage habe ich darüber nachgedacht, wie ich dem komplexen Thema der Ernährung in einem kurzen Beitrag gerecht werden kann. Ernährung ist Genuss, Kultur, Religion, überlebensnotwendig und und und. Unzählige Bücher über gesunde Ernährung füllen die Bibliotheken in aller Welt. Jeder kann etwas dazu sagen. Dabei gibt es offenbar keine allgemein gültige Regel. Hunderte von neuen Diätempfehlungen füllen jedes Jahr aufs Neue die Newsportale und einschlägige Zeitschriften. Dabei gibt es bereits einen jahrtausendealten Ansatz über gesunde Ernährung im Ayurveda.
Als ich vor eineinhalb Jahren anfing, mich intensiv mit Ayurveda zu beschäftigen, war für mich dieses Universum in vielerlei Hinsicht verwirrend. Neben einer Unzahl von unbekannten Begrifflichkeiten setzte mir vor allem das Konzept der Doshas am meisten zu. Für einen Naturwissenschaftler, der von der generellen Universalität aller lebenden Prozesse überzeugt ist, war die Tridosha-Theorie in jeglicher Hinsicht ein Affront.
Nach diesem Konzept werden alle Menschen mi einer individuellen Mischung von Vata, Pitta und Kapha geboren. Dabei befinden sich diese drei Konstitutionstypen in einem individuellen Gleichgewicht. Eine der Konstitutionen, die Grundkonstitution, herrscht allerdings vor. Gerät die Ausgewogenheit von Vata, Pitta und Kapha im Laufe des Lebens aus dem Gleichgewicht kommt es unweigerlich zu Krankheiten.
Um das angeborene Gleichgewicht möglichst lang zu erhalten, existieren im Ayurveda eine Vielzahl von Regularien. Sie sollen den Organismus langfristig vor schädlichen Einflüssen schützen. Vergleichbar ist dies mit dem Bild eines Schutzschildes, der entsprechend der individuellen Konstitution eine Abwehr bietet. Nach dieser Vorstellung sollen die Konstitutionstypen bestimmte Lebensmittel aber auch Lebensweisen eher bevorzugen und andere vermeiden. Dabei ist die Ernährung für Vata eine andere als für Pitta oder Kapha.
Der Geschmack von Lebensmitteln spielt in der ayurvedischen Ernährungslehre eine große Rolle. Dabei kennt die ayurvedische Heilkunst sechs Geschmacksrichtungen (Rasas): süß, sauer, scharf, bitter und zusammenziehend (herb/adstringierend). Diese Rasas habe durch ihren Dosha-Eigenschaften einen großen Einfluss auf den menschlichen Organismus. Der Geschmack eines jeden Nahrungsmittels besitzt nach der Verdauung eine spezifische Wirkung auf den Organismus. Er beeinflusst direkt das Gleichgewicht der Doshas. So kann er beispielsweise erhitzend oder kühlend, trocken oder feucht auf die Gewebe im Körper wirken. Nach ayurvedischem Verständnis kann die Wirkung von Lebensmitteln dabei helfen, die Doshas in Balance zu halten.
Beispielsweise schmeckt schwarzer Pfeffer (Piper nigrum) scharf und wirkt erhitzend auf den Organismus. Dagegen schmeckt langer Pfeffer (Piper longum), ein weit verbreitetes Gewürz im asiatischen Raum, ebenfalls scharf. Die Wirkung ist allerdings kühlend. Die Liste an Beispielen ließe sich an dieser Stelle beliebig fortsetzten.
Eine unter ayurvedischen Gesichtspunkten perfekte Mahlzeit beinhaltet idealerweise jede der genannten Geschmacksrichtungen. Um die Komposition gewisser Speisen nicht zu zerstören ist es jedoch ausreichend, alle sechs über den Tag zu verteilen. Doch gerade der bittere Geschmack fehlt weitgehend in der Ernährung der Menschen Nordamerikas und der ganzen westlichen Welt. Durch Züchtung hybrider Kultursorten ist er weitgehend aus den natürlichen Lebensmitteln verschwunden.
Ich möchte an dieser Stelle einmal wild darüber spekulieren, wie das Fehlen der Bitterstoffe in der Ernährung der westlichen Welt weitreichende Auswirkungen auf die Ausbildung von zivilisatorischen Krankheiten wie einem gestörten Fettstoffwechsel oder Typ-II-Diabetes hat. Der Konsum von ultraverarbeiteten Lebensmitteln ist häufig mit der Einnahme von Geschmacksverstärkern verbunden, welche aus Gründen der Konservierbarkeit mit hochkalorischen Nahrungselementen durchsetzt sind. Solche Lebensmittel verursachen auch beim Gesunden einen schnellen Blutzuckeranstieg und führen nur kurzzeitig zu einer Sättigung. Bitterstoffe hingegen wirken als natürliche Geschmacksverstärker und zügeln zugleich den Appetit. Sie wirken somit indirekt auf den notwendigen Insulinbedarf für die aufgenommene Nahrung. Zuviel freigesetztes Insulin begünstigt im Gegensatz die Fettsynthese.
Nicht so weit weg von der Betrachtung der Stoff- und Energiewechselvorgänge im menschlichen Organismus ist der ayurvedische Ansatz. Individuen, die beispielsweise ein zu hohes Kapha aufweisen sind nicht selten übergewichtig oder haben einen gestörten Fettstoffwechsel. Um das Ungleichgewicht von Kapha nicht noch weiter zu begünstigen, sollten sie auf süße Lebensmittel mit einem hohen Energiegehalt verzichten. Stattdessen sollten sie eher Nahrungsmittel mit einem erhöhtem Anteil an Bitterstoffen bevorzugen. Darüber hinaus sollten sie ebenfalls scharfe Nahrungsmittel zu sich nehmen. Die Schärfe entfacht das Verdauungsfeuer Agni, welches ein unbalanciertes Kapha–Dosha senkt.
Fortsetzung folgt…
Carsten und ich hatten vor einigen Tagen die einmalige Gelegenheit einen Blick in die Küche des P.D. Patel Ayurveda Hospital zu werfen. Küchenarbeit ist hier eindeutig Frauensache. Wir wurden freundlich gebeten, unsere Schuhe auszuziehen. Ein weiter Schritt in die Küche war uns dennoch verwehrt. Fragen zu Rezepten wurden stirnrunzelnd zur Kenntnis genommen. Ich hoffe dennoch, dass ich das Rezept für den unglaublich leckeren Mung Dal erhalten werde.
4 Kommentare zu „Die Ernährung im Ayurveda – Teil 1“
Lieber Peter,
deine medizinischen Berichte und Ansichten sind sehr wertvoll und sollten veröffentlicht werden.
Die hiesigen Menschen werden durch die Werbung und dem Drang nach meist nur billigem und geschmackvollem Essen ungesund ernährt, was noch durch die arrogante westliche Art und schulmedizinische Behandlung befördert wird.
Mach weiter so.
Hubert
Hallo Peter,
der Blick in die Küche ist wunderschön. Vielen Dank dafür! Natürlich auch für Deine Gedanken zur ayurvedischen und westlichen Ernährung. Trotz aller Gewürzkunst ist die geminderte Qualität der Nahrungsmittel auch an Indien nicht vorbeigegangen. Der Reis ist leider kein Vollkornreis mehr, sondern geschält, wie bei uns. Bei den Getreideprodukten ebenso. Durch die schnellen Blutzuckeranstiege und -abstiege ein Problem für die langjährige Funktionstüchtigkeit der Bauchspeicheldrüse. In Indien wird ja auch sehr süß gegessen. Mich interessiert, wie diesbezüglich das Essen im Krankenhaus ist? Vielleicht kannst Du es erfragen. In so einem Riesenland, wo viele Menschen hungern und der Kampf um das tägliche Überleben geht, ist das möglicherweise gar kein aktuelles Problem.
Liebe Nora,
vielen Dank für deine Anmerkungen. Die Qualität der Krankenhausküche hier ist herausragend. Es gibt je nach Diätplan verschiedene Abstufungen in der Menge der zugeführten Kohlenhydrate. Vieles ist auf Vollkornbasis. Leider ist es der Reis nicht. Ich selbst erhalte durchweg verschiedene kohlenhydratreduzierte Zubereitungen aus Mungbohnen.
Dein Kommentar bringt mich aber auf die Idee, den Blickwickel etwas weiter zu fassen. ich werde in meinem nächsten Beitrag darüber schreiben.
Viele Grüße aus Nadiad,
Peter